Ansassen / Beisassen / Hintersassen / Landsassen / Niedergelassene

Begriffsbestimmungen - Definitions
Begriffsbestimmungen - Definitions
Antworten
Wolf
Moderator
Beiträge: 9100
Registriert: Sa 21. Mai 2005, 17:05
Geschlecht: Männlich
Wohnort: St.Gallen, Schweiz

Ansassen / Beisassen / Hintersassen / Landsassen / Niedergelassene

Beitrag von Wolf » Mo 20. Mär 2006, 23:33

See below for an English summary.

Susanna Brugger-Gertsch frägt auf der Mailingliste der SGFF
Was war eigentlich ein Landsass? Und gab es eine Landsass-Kommission, z.B. im Kanton Bern? Ich bin mir nicht mehr sicher, ob das ein Herumziehender oder eine Person ohne Bürgerort war. Eine Freundin aus den USA fragt mich nach der Bedeutung.
Hans Minder (Leiter Auskunfsstelle GHGB) antwortet darauf
Landsassen im Kanton Bern waren Berner Bürger, die bis 1861 noch keinen Heimatort erworben hatten. Damals wurden sie den Gemeinden z.T. durch Losentscheid zugeteilt.
Es handelt sich um verschiedene Kategorien:
- Herumziehende Personen;
- Glaubensflüchtlinge;
- uneheliche Kinder von Bernburgern;
- Findelkinder.
Das Buch von Ernst Weingart über die Landsassen hilft Ihnen da weiter. In Bern gab es eine Landsassenkammer, die über diese Landsassen Buch geführt hat. Die Forschungen sind dadurch eigentlich recht einfach.
Das Deutsche Rechtswörterbuch nennt zum Landsass Hinweise aus dem ganzen deutschsprachigen Raum - mit besonderer Erwähnung der Entwicklung im Kanton Bern. Analoge Hinweise finden sich auch zum Begriff Hintersass.

Im Historischen Lexikon der Schweiz ist der Begriff Hintersass aus Schweizer Sicht erklärt. Leider fehlt das entsprechende Kapitel zum Landsass noch in der Online-Version.

Gibt es Besonderheiten zu diesen (oder verwandten) Begriffen in verschiedenen Kantonen? Berichten Sie doch hier - oder nennen einfach nur weiterführende Literatur.


Wolf Seelentag, St.Gallen
Mitglied der Genealogisch-Heraldischen Gesellschaft Ostschweiz (GHGO) - https://www.ghgo.ch/
Eingesetzte Software: Ahnenforscher

Wolf
Moderator
Beiträge: 9100
Registriert: Sa 21. Mai 2005, 17:05
Geschlecht: Männlich
Wohnort: St.Gallen, Schweiz

Hintersassen und Beisassen im Kanton Graubünden (und St.Gallen)

Beitrag von Wolf » Di 21. Mär 2006, 20:38

Jakob Mittner, Chur, teilt dazu mit
Dieses Problem bestand nicht nur im Kanton Bern. Auch im Kanton Graubünden, wie auch St.Gallen, war es vorhanden. Dr.iur.J.Putzi hat in seiner Dissertation vom Jahre 1951 für den Kanton Graubünden dies wie folgt festgehalten:

- Hintersässe sind Niedergelassene, die weder das Nachbarschafts- noch das Gerichtsbürgerrecht besitzen.

- Beisässe sind die in einer Nachbarschaft sesshaften, aber dort nicht eingebürgerten Gerichtsbürger.

Ein weiteres Problem bestand im sogenannten "Weibereinkauf". Wurde dieser bei einer Verheiratung nicht getätigt, so verlor der Gatte das Bürgerrecht, was dann wieder eines Tages zu "Heimatlosen" führte. Der Kleine Rath des Kantons Graubünden hat dies in seiner Mitteilung vom 23. August 1837 an die Gemeinden festgehalten und die Frage gestellt, was die Gemeinden mit den entsprechenden Einkaufsgebühren mache. Es betreffe hier ja vorwiegend die finanziellen schwachen Personen (StAGR IV 25 b l). Diesbezüglich sind Akten auch in Domat/Ems, Urkunde Nr. 99 vom 29. November 1722; Haldenstein, Urk. Nr. 32 vom 7. September 1718 erwähnt.
Die Regierung des Kantons St. Gallen hat im Jahre 1838 das gleiche Problem aufgenommen und an die entsprechenden Gemeinden geschrieben.


Wolf Seelentag, St.Gallen
Mitglied der Genealogisch-Heraldischen Gesellschaft Ostschweiz (GHGO) - https://www.ghgo.ch/
Eingesetzte Software: Ahnenforscher

Wolf
Moderator
Beiträge: 9100
Registriert: Sa 21. Mai 2005, 17:05
Geschlecht: Männlich
Wohnort: St.Gallen, Schweiz

Landsassen

Beitrag von Wolf » Di 21. Mär 2006, 23:28

Therese Metzger, Münsingen BE, ergänzt dazu
Landsassen konnten auch Heimatberechtigte einer Gemeinde werden, die diese verlassen hatten und den üblichen Beitrag nicht bezahlten, keine Daten mehr in diese Gemeinde sandten und somit von dieser ursprünglichen Kommune nicht mehr anerkannt wurden. Oft bereits nach einer Generation. Nachkommen mussten dann oft um ihre Rechte kämpfen, nach mehreren Generationen war es kaum mehr möglich das Heimatrecht rückwirkend wieder zu erlangen.


Wolf Seelentag, St.Gallen
Mitglied der Genealogisch-Heraldischen Gesellschaft Ostschweiz (GHGO) - https://www.ghgo.ch/
Eingesetzte Software: Ahnenforscher

Konstantin Huber
Beiträge: 634
Registriert: Mo 28. Nov 2005, 13:46
Geschlecht: Männlich
Wohnort: BRD, Baden-Württemberg

Beisitzer und Hintersassen in Württemberg

Beitrag von Konstantin Huber » Mi 22. Mär 2006, 13:22

Vorsicht bei der Verwendung der Begriffe, die oftmals regional und zeitlich verschiedene Bedeutung besaßen.
Zu Württemberg kann ich auf meinen aktuel erschienenen Aufsatz verweisen:

Schutz- und Schirmgelder von Beisitzern in altwürttembergischen Amtsrechnungen am Beispiel der Ämter Neuenbürg und Herrenalb 1669-1740.
In: Südwestdeutsche Blätter für Familien- und Wappenkunde, Band 24, Heft 7, S. 265-284.

Er ist leider nicht online, bei Bedarf übersende ich aber das Manuskript bilateral (und selbstverständlich kostenfrei).


Konstantin Huber

John
Beiträge: 255
Registriert: Mi 29. Jun 2005, 12:34
Geschlecht: Männlich
Wohnort: Schweiz, Kanton Bern

Landsassen / Hintersassen / Beisassen / Ansassen

Beitrag von John » Do 23. Mär 2006, 08:41

In Schaffhausen werden Ansassen erwähnt. Wer ist damit gemeint?
Ansassen waren die in Städten, Länderorten oder auch Dörfern für längere Zeit niedergelassenen Leute, die kein oder nur ein beschränktes Bürgerrecht besassen. Diese nannte man vor 1798 allg. Hintersassen oder auch Beisassen, nach der Helvetik (bis 1848) meist Ansassen.
Hans Gräser



Wolf
Moderator
Beiträge: 9100
Registriert: Sa 21. Mai 2005, 17:05
Geschlecht: Männlich
Wohnort: St.Gallen, Schweiz

Hintersassen im Kanton Luzern

Beitrag von Wolf » So 26. Mär 2006, 13:47

Walther Janett informiert zum Kanton Luzern
Im Kanton Luzern wurden die Eingewanderten registriert: "Buch der aufgenomnen Hintersässen in der Statt und auf dem Landt 1544-1573" meist mit Angaben über Herkunft. In den Gross-Rats-Protokollen im Staatsarchiv findet man sie ein oder mehr Jahre später wieder bei der Einbürgerung.


Wolf Seelentag, St.Gallen
Mitglied der Genealogisch-Heraldischen Gesellschaft Ostschweiz (GHGO) - https://www.ghgo.ch/
Eingesetzte Software: Ahnenforscher

Wolf
Moderator
Beiträge: 9100
Registriert: Sa 21. Mai 2005, 17:05
Geschlecht: Männlich
Wohnort: St.Gallen, Schweiz

Fünf Sorten Einwohner in Appenzell Ausserrhoden

Beitrag von Wolf » So 26. Mär 2006, 14:15

Die Rechte und Pflichten der Gemeindebewohner veränderten sich im Verlauf der Jahrhunderte und ebenso die Bezeichnungen für die verschiedenen Abstufungen des Bürgerrechts. Die Angelegenheit wird zusätzlich dadurch erschwert, dass sich die Bedeutung der Ausdrücke ebenfalls im Laufe der Zeit den neuen Gegebenheiten anpasste. Eine kurze Zusammenfassung soll hier Klarheit schaffen.

Kirchhöri- oder Rhodsgenossen waren voll stimm- und wahlberechtigte Ortsbürger, die auch Anrecht hatten am Gemeinmerk (Allmend) und an den gemeinen Hölzern.

Hintersässen waren laut Landmandat von 1610 in einer Gemeinde Niedergelassene ohne Ortsbürgerrecht, die alljährlich ein Hintersassen- oder Sitzgeld zu entrichten hatten. Diese Landleute hatten keinen Anteil am Gemeinmerk oder an den gemeinen Hölzern ihrer Wohnortgemeinde. Sie hatten kein Mitbestimmungsrecht und waren auch nicht in Ämter wählbar.
Das Landbuch von 1747 definierte die Hintersassen als im Kanton ansässige Nichtlandleute, die ohne besondere Bewilligung keine Liegenschaften erwerben durften.

Beisassen nannte man im 18.Jh. Landleute, die in einer anderen als ihrer Bürgergemeinde niedergelassen waren. Aufgrund der hohen Mobiliät der ausserrhodischen Bevölkerung gehörten in einzelnen Ausserrhoder Gemeinden bereits um 1780 20-30 Prozent der Einwohner dieser Gruppe an. Die Beisassen waren bis 1798 in einigen Gemeinden von den Kirchhöre-Versammlungen ausgeschlossen, als Landleute aber an der Landsgemeinde stimmberechtigt.

Landsassen nannte man im frühen 19. Jahrhundert Personen, die zwar das Landrecht hatten, aber kein Gemeindebürgerrecht. Diese Kategorie enstand im Zuge der Heimatlosen-Einbürgerungen.

Niedergelassene hiessen im 19.Jh. Schweizer Bürger anderer Kantone mit formeller Niederlassungsbewilligung von Gemeinde- und Kantonsbehörden. Diese Gruppe besass seit 1848 als sogenannte "Bundesgenossen" das Recht zur Teilnahme an den Landsgemeinden. Damit ist erklärt, was die altväterische Anrede bedeutet, die der Landammann bei der Ansprache und der Landweibel bei Abstimmungen und Wahlen an der Landsgemeinde an die Stimmbürger richtete. Er begann bei jedem Geschäft mit derselben Formel: "Getreue, liebe Mitlandleute und Bundesgenossen! Wem’s wohl gfallt, dass …" Hier folgte dann die genaue Bezeichnung des Gesetzes, der Sachvorlage oder der Person, die gewählt werden sollte.

Hans Hürlemann, Journalist BR, Urnäsch


Wolf Seelentag, St.Gallen
Mitglied der Genealogisch-Heraldischen Gesellschaft Ostschweiz (GHGO) - https://www.ghgo.ch/
Eingesetzte Software: Ahnenforscher

Wolf
Moderator
Beiträge: 9100
Registriert: Sa 21. Mai 2005, 17:05
Geschlecht: Männlich
Wohnort: St.Gallen, Schweiz

Landsassen, a summary

Beitrag von Wolf » So 2. Apr 2006, 17:15

The following translations of the above contributions were kindly provided by Susanna Brugger-Gertsch:

Wolf Seelentag wrote
The German legal dictionary gives hints to the term Landsassen. Hints of the whole German speaking Countries with a special mention of the development in the Canton of Berne. Similar hints to the term Hintersassen can also be found. The term of Hintersass, from the Swiss view, is mentioned in the Historical Encyclopedia of Switzerland. Unfortunately the article on Landsassen is not yet online.
Maybe there are other characteristics to these terms from different Cantons. Please tell us about it or mention the resuming literature.
Hans Minder wrote about the Canton of Berne
Landsassen in this Canton were bernese citizens who had not yet obtained or lost their citizen rights until the year 1861.. By decision of the lot, they were sent to different Counties. A special Landsassenchamber kept account. This is mentioned in the book of Ernst Weingarts.
Now who was called a Landsass?
> Vagabonds
> Faith refugees
> Illegitimate children of Bernese citizens
> "Findelkinder"
> Citizens who had left their original municipality and who had not paid the general fees, or who had not send the changing personal data home. The community did not recognize them as citizens anymore, sometimes already after one generation. Getting back the citizenship was often a hard battle and after some generations even almost impossible.
Later several other contributions to different but related terms such as Hintersassen / Beisassen / Ansassen were received.

Hans Gräser wrote on the Canton of Schaffhausen
Ansassen:
> Persons who lived for a longer period in cities or even villages.
> Persons who had no or only a limited citizen rights.
These persons were called before 1798 Hintersassen or Beisassen but after the Helvetik (until 1848) usually Ansassen.
Jakob Mittner wrote about the Canton of Graubuenden
In his dissertation of the year 1951 Dr. Jus. J. Putzi named for this Canton:
> Hintersaesse are established persons with no citizen rights or no neighbour rights.
> Beisaesse are persons living in the neighbourhood but not in patriated courts citizens.
Another problem was the so called "woman-purchase" If the husband did not pay on the occasion of the marriage, he lost his citizenship and it lead to more homeless people after some time. The small Rath of the Canton of Graubuenden wrote this in a bulletin of August 23rd 1837 to his communities and asked them what they where doing with the fees. It would concern only the poor persons (StAGR IV 25 b l). In this connection there are documents mentioned in Domat/Ems, document No 99 of November 29th 1722; Haldenstein document No 32 of September 7th 1718.
The government of the Canton of St. Gallen has taken up the same problem in the year of 1838, and had written to his municipaities.
Hans Hürlemann wrote about the Canton of Appenzell-Ausserrhoden
The rights and obligations of the citizens changed in the course of the centuries and therefore also the designations for the different gradations of the citizen rights. It is all getting harder to understand because the meaning of the expresses changed over the years and had to be adapted to the new conditions. Here is a short summary :
> Kirchhoeri- or Rhodsgenosse: fully acknowledged citizens who were correct and entitled to vote. They claimed their shares of the Gmeinmerk (Allmend) and of the woods.
> Hintersaessen: according to the land mandate of 1610 persons living in a municipality without citizen rights. They had to pay every year a fee (Hintersassen- or Sitzgeld). Those persons had no share of the Gmeinmerk or of the woods in their residence community. They had no rights of codetermination and were not votable in any offices. The Hintersassen were defined in the landbook of 1747 as foreign residents of the Canton who were not able to purchase any real estate without permission.
> Beisassen: were in the 18th century citizens not living in their hometowns. Because of the high mobility of people living in Appenzell Ausserrhoden in some municipalities the percentage of the Beisassen was between 20 and 30% in 1780. The Beisassen were until 1798 in some communities of the Kirchhoere meetings excluded but not of the Landsgemeinden.
> Landsassen: in the early 19th century were called those persons who had obtained the land right but had no citizen rights. This category was developed in the course of the homeless neutralizations.
> Niedergelassene: citizens in the 19th century who were of Swiss origin but of other Cantons with a formal permission to establish residence. This group, the so called confederate, had since 1848 the right to participate at the Landsgemeinden. That is the explanation why the Landammann on each speech and the Landweibel with each voting at the Landsgemeinde are expressing themselves in the old saying: dear faithful compatriots and confederates.
Konstantin Huber wrote about Beisitzer und Hintersassen in Württemberg
One has to be careful with the using of those notions, which differ often from region and time.
I can refer to my published essay:
Schutz- und Schirmgelder von Beisitzern in altwürttembergischen Amtsrechnungen am Beispiel der Aemter Neuenbuerg und Herrenalb 1669-1740.
Published in Südwestdeutsche Blätter für Familien- und Wappenkunde, Band 24, Heft 7, S. 265-284.
Unfortunately it is not available online. If necessary I'll send it bilateral and of course free of charge.


Wolf Seelentag, St.Gallen
Mitglied der Genealogisch-Heraldischen Gesellschaft Ostschweiz (GHGO) - https://www.ghgo.ch/
Eingesetzte Software: Ahnenforscher

Brian
Beiträge: 327
Registriert: Mi 7. Dez 2005, 19:08
Geschlecht: Männlich

Hintersassen

Beitrag von Brian » So 24. Sep 2006, 11:38

Was machte einen Hintersassen im Kraichgau aus?
War ihre Situation die selbe wie im Kanton Bern, also mit allen Bürgerpflichten ausgestattet, aber ohne Freiheitsrechte (H. Wittner)? Ode rwar die Situation in Südwestdeutschland eine andere?



Konstantin Huber
Beiträge: 634
Registriert: Mo 28. Nov 2005, 13:46
Geschlecht: Männlich
Wohnort: BRD, Baden-Württemberg

Hintersassen

Beitrag von Konstantin Huber » So 24. Sep 2006, 11:56

Am Beispiel Württembergs habe ich mich mit dem Thema Hintersassen (bzw. Beisitzer) schon näher befasst. Ich zitiere auszugsweise unten aus meinem Aufsatz:

Schutz- und Schirmgelder von Beisitzern in altwürttembergischen Amtsrechnungen am Beispiel der Ämter Neuenbürg und Herrenalb 1669-1740.

Dieser ist erschienen in: Südwestdeutsche Blätter für Familien- und Wappenkunde, Band 24, S. 265-285.
In der Frühen Neuzeit spielte das Bürgerrecht eine bedeutende Rolle, da man als Einwohner - oder besser: herrschaftlicher Untertan - nicht automatisch den Status eines Bürgers besaß. Während das Staatsbürgerrecht durch die Verpflichtung zum Militärdienst in erster Linie Nachteile mit sich brachte, leitete sich der gesamte Anspruch eines Bürgers auf wirtschaftliche und soziale Leistungen aus dem Gemeindebürgerrecht ab. Mit dem Status des Bürgers waren verschiedene kommunale Rechte und Pflichten verbunden. Nur Bürger konnten den gemeindeeigenen Besitz nutzen (zum Beispiel die Allmende oder Holz aus dem Gemeindewald), nur solche besaßen das aktive und passive Wahlrecht für die Gemeindeämter und auch nur Bürger hatten Anspruch auf Fürsorge im Falle von Krankheit oder Verarmung. Verpflichtet waren Bürger zur Beteiligung an den Gemeindelasten, zur Entrichtung der Steuern und Abgaben sowie zur Ableistung von Fron- und Wachtdiensten. Nicht jeder an einen neuen Wohnort Zuziehende erwarb automatisch das dortige Bürgerrecht. Wer von auswärts kam und als vollberechtigter Bürger am Ort leben wollte, musste dieses erst käuflich erwerben - vorausgesetzt die Gemeinde war an der Aufnahme des Fremden überhaupt interessiert. Neben der Entrichtung des Bürgeraufnahmegeldes, das regional und zeitlich je nach wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten wechselte, musste der Bewerber in aller Regel ein ausreichendes Vermögen nachweisen können und eine von der Heimatgemeinde ausgestellte Bescheinigung über seine ehrliche und eheliche Herkunft vorlegen, den sogenannten Mannrechtsbrief.
Wer als Bürger abgelehnt wurde oder gar keinen entsprechenden Antrag vor das zuständige Gemeindegericht brachte - vielleicht weil er nur vorübergehend am Ort bleiben wollte und das Bürgeraufnahmegeld scheute oder aber als Andersgläubiger das Bürgerrecht gar nicht erwerben konnte, hatte als sogenannter Beisitzer einen geringeren rechtlichen Status als ein Bürger. Teilweise fanden die Begriffe Pfahlbürger und Hintersasse synonym Verwendung, doch gibt es hier regionale Unterschiede. Dennoch musste auch der Beisitzer, sofern er nicht aus dem Land stammte, eine jährliche Geldabgaben leisten. Diese wird Schutz-, Schirm- oder Beisitzgeld genannt, denn der Betreffende konnte auch als Nicht-Bürger gewissen Schutz sowie "trieb und trab, weg und steg, lufft und wasser quasi cives", also wie Bürger, "mitgeniessen, dahero sie in der hochfürstlichen Landesordnung Pfahlbürger genannt werden".
Es ist davon auszugehen, dass es in anderen Kraichgau-Territorien ähnlich war, wenngleich regionale und zeitliche Unterschiede stets zu beachten sind.
- Editiert von Konstantin Huber am 24.09.2006, 15:57 -


Konstantin Huber

Brian
Beiträge: 327
Registriert: Mi 7. Dez 2005, 19:08
Geschlecht: Männlich

Hintersassen

Beitrag von Brian » So 24. Sep 2006, 16:06

Vielen Dank. Deine ausführliche Antwort hilft mir sehr weiter.


Falls jemand weiss, wie es konkret in Neidenstein ausgesehen hat, wäre ich für Informationen dankbar.



Bochtella
Beiträge: 3361
Registriert: Di 15. Mär 2011, 09:27
Geschlecht: Männlich
Wohnort: Schweiz

Re: Hintersassen

Beitrag von Bochtella » Mi 24. Jun 2015, 16:29

Grüezi Lesende,

zur Definition Mannrechtsbrief auch im Thread Mannrechtsbrief.

Bochtella



Bochtella
Beiträge: 3361
Registriert: Di 15. Mär 2011, 09:27
Geschlecht: Männlich
Wohnort: Schweiz

Re: Hintersassen

Beitrag von Bochtella » Mi 19. Aug 2015, 08:56

Grüezi Lesende,

als Ergänzung zu Beisitzer und Hintersassen die Threads Landsassen / Hintersassen / Beisassen / Ansassen und Hintersässen im Kanton Bern.

Bochtella



Bochtella
Beiträge: 3361
Registriert: Di 15. Mär 2011, 09:27
Geschlecht: Männlich
Wohnort: Schweiz

Re: Landsassen / Hintersassen / Beisassen / Ansassen

Beitrag von Bochtella » Mi 19. Aug 2015, 09:23

Grüezi Lesende,

als Ergänzung zu Hintersassen die Threads Hintersassen und Hintersässen im Kanton Bern.

Bochtella



Stephleuen
Beiträge: 707
Registriert: Sa 15. Dez 2007, 14:13
Geschlecht: Männlich
Wohnort: Schweiz, Bern

Re: Landsassen / Hintersassen

Beitrag von Stephleuen » Do 8. Okt 2015, 12:45

Guten Tag

Ich schliesse mich den Äusserungen "Vorsicht mit den Begriffen" an:

Der Begriff Kirchhöri hat nichts mit wahlberechtigten Bürgern zu tun. Der Begriff besteht aus den Wörtern Kirche und Hörigkeit = Personen sind einer Kirche zugehörig und schulden ihr den Zehnten und unter Umständen andere Bodenabgaben, unabhängig davon ob frei oder leibeigen. Alle Zehnten des Landes, sowohl vom Ertrag des Bodens als von den Früchten der Bäume, gehören dem Herrn, sind dem Herrn geweiht (3.Mose 27/30).
Aber siehe, den Leviten gebe ich alle Zehnten in Israel als Erbgut für den Dienst, den sie tun, für den Dienst am heiligen Zelte (4. Mose 18/21).

Dies ist die Grundlage und Legitimation zu den Zehntrechten.

Wir unterscheiden zwischen einer geschlossenen Grundherrschaft und einer Grundherrschaft mit Streubesitz.

Eine Geschlossene Grundherrschaft hat einen Grundherrn, beinhaltet das Kirchepatronat (Kirchenrecht - das recht den Priester zu bestimmen usw.), das Mühlenrecht, den Brotofen, den Zuchtstier usw. In einer Grundherrschaft mit Streubesitz sind diese Rechte auf verschiedene Grundherren verteilt.

Ob Leibeigene oder freie Bauern, alle Bewohner einer Kirchhöre waren dieser verpflichtet, ihre Kasualhandlungen in dieser Kirche abzuhalten. Bestimmte Rechte, die daraus resultierten, sind heute immer noch in der Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft, der Bernischen Kirchenordnung und den Organisationsreglementen der einzelnen Kirchgemeinden sowie dem Bernischen Gesetz für Gemeinde- und Raumordnung enthalten.

Kirchhöre ist also ein veralteter Begriff für Kirchgemeinde.

Zum Begriff Hintersäss habe ich, oder liess ich hier, mit Bewilligung des Vorstehers des Amtes für Zivistandswesen das Kantons Bern a.D. Toni Siegenthaler einen Aufsatz veröffentlichen. Ich verweise ausdrücklich auf diese Zusammenfassung.

Alle hier im Tread aufgeführten Begriffe müssen Regional konsequent betrachtet werden und können nicht einfach global behandelt werden.

Beste Grüsse
Stephan Leuenberger



Stephan Leuenberger
Mitglied bei:
Historischer Verein des Kantons Bern
Schweizerische Gesellschaft für Familienforschung
Genealogisch Heraldische Geselschaft Bern
Jahrbuchvereinigung Oberaargau

Bochtella
Beiträge: 3361
Registriert: Di 15. Mär 2011, 09:27
Geschlecht: Männlich
Wohnort: Schweiz

Re: Landsassen / Hintersassen

Beitrag von Bochtella » Do 8. Okt 2015, 21:53

Grüezi Lesende,

weiter zu den Begrifflichkeiten von Ansassen, Hintersassen, Beisassen, Niedergelassene, Aufenthalter, Landsassen, Mauchen, Schamauchen.

Zur Definition Ansassen in Historisches Lexikon der Schweiz.
Ansassen waren die in Städten, Länderorten oder auch Dörfern für längere Zeit niedergelassenen Leute, die kein oder nur ein beschränktes Bürgerrecht besassen. Diese nannte man vor 1798 allgemein Hintersassen oder auch Beisassen, nach der Helvetik (bis 1848) meist Ansassen.

Zur Definition und Belegen Ansässen, Ansassen, sowie anderen Sässen in Schweizerisches Idiotikon, S. 1347 bis 1378:
• Ansässen, Ansassen, in einer Gemeinde Niedergelassene, im Gegensatz zu Ortsbürger oder blossen Aufenthaltern.
• Insässen, Insessen, Einsassen, Bisassen, Beisassen, Hintersassen, Eingesessene, Einwohner
• Landssässen, Landsinsässen, im Land Ansässige, Landsidelinge, Landeseinwohner, auch auf dem Land Ansässige
• Untersässen
• Ussässen, Ussässlinge, auswärts Ansässige
• Frisässen, Freisässen, Aufenthalter
• Hintersässen, Hintersessen, Hintersetzen, Hintersassen

Zur Definition Ansassen, Ansässige in Deutsches Rechtswörterbuch.
Ansassen, Ansässige im Gegensatz zu Bürgern oder blossen Aufenthaltern.

Zur Definition Hintersassen in Historisches Lexikon der Schweiz.
Im Spätmittelalter und bis zum 16. Jh. wurden Hintersassen, auch Hintersässen genannt, bisweilen auch synonym zu Ansassen, Beisassen, Insassen; französisch habitants, résidents; italienisch dimoranti, Divisi) die Leute, die "hinter" einem Herrnsassen, d.h. einem Vogt, Gerichts- oder Grundherrn unterworfen waren (Herrschaft).

Zur Definition Hintersasse in Deutsches Rechtswörterbuch.

Zur Definition Beisassen in Historisches Lexikon der Schweiz.
Beisassen nannte man bis 1798 die längerfristig niedergelassenen Personen (im Alpenraum z.T. nur Aufenthalter, z.T. Niedergelassene aus einer andern Gemeinde desselben Standes, die kein oder nur ein beschränktes Bürger- oder Genossamerecht besassen. Im Mittelland war dafür zu Stadt und Land der grundsätzlich synonyme Begriff Hintersassen gebräuchlicher. Nach der Helvetik wurde der mindere Rechtsstatus (bis 1848), meist unter der Bezeichnung Ansassen, wieder hergestellt.
Als Beisassen wurden oft auch Gerichtsbeisitzer bezeichnet .

Zur Definition Landsassen in Historisches Lexikon der Schweiz.
Als Landsassen wurden im Land Ansässige bezeichnet, insbesondere jene, die das Landrecht, aber kein Ortsbürgerrecht besassen. Bern fasste 1779-80 die Heimatlosen (ab 1788 auch unehel. Kinder von Patriziern) in einer besonderen Landsassenkorporation zusammen und unterstellte sie der Landsassenkammer. 1798 schätzte das helvetische Innenministerium die Zahl der inkorporierten Landsassen auf 5000. 1808 wurden die Landsassen des ehemaligen Kt. Bern auf die Kt. Bern, Aargau und Waadt aufgeteilt und zur Einbürgerung gezwungen. Auch im Land ansässige, einer Landesherrschaft unterstellte Inhaber von Gerichtsherrschaften wurden Landsassen genannt. Im Kt. Appenzell Ausserrhoden erscheinen zur evangelischen Konfession übergetretene Innerrhoder als Landsassen. Erst 1851 erhielten sie auf Weisung der Bundesbehörden ein Gemeindebürgerrecht.

Zur Definition Landsasse in Deutsches Rechtswörterbuch.

Zur Definition Landsäss in Deutsches Rechtswörterbuch.

Zur Definition und Belegen Mauchen in Schweizerisches Idiotikon.
Mauchen ist eine geringschätzige Benennung für Niedergelassene.

Zur Definition Schamauchen und Belege in Wörterbuch der elsässischen Mundarten.
Schamauchen, eigentlich Schmarotzer, ein Spottname für Hintersassen.

Bochtella



Bochtella
Beiträge: 3361
Registriert: Di 15. Mär 2011, 09:27
Geschlecht: Männlich
Wohnort: Schweiz

Re: Landsassen / Hintersassen

Beitrag von Bochtella » Sa 10. Okt 2015, 16:01

Grüezi Lesende,

zur Niederlassungsfreiheit in Historisches Lexikon der Schweiz.

Zu Aufenthalter, Niedergelassene und Landsassen auch in den Threads Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis im 19. Jh., Dienstboten im Einwohnerregister und Bühler von Vordemwald AG.

Bochtella



Bochtella
Beiträge: 3361
Registriert: Di 15. Mär 2011, 09:27
Geschlecht: Männlich
Wohnort: Schweiz

Re: Ansassen / Hintersassen / Landsassen / Niedergelassene

Beitrag von Bochtella » Mi 14. Okt 2015, 09:24

Grüezi Lesende,

zur Definition und zu Belegen Mauchen in Schweizerisches Idiotikon.
Spalte 57 und 58: Mauchen, Tschamauchen, Tschämauchen, Tschamäuchli, Tschamelchen, Niedergelassene, im Speziellen ohne Bodenbesitz.
Spalte 1349: Insässen werden als Tschamauchen benannt.

Bochtella



Antworten

Zurück zu „Glossar - Glossaire - Glossary“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 6 Gäste