Nichtsesshafte

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Moderator: Wolf

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Bochtella
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Nichtsesshafte

Beitrag von Bochtella » Mo 2. Jan 2012, 14:22

Familienforschung bei Nichtsesshaften
Da der Umgang der Gesellschaft und Amtsstellen mit den Nichtsesshaften stark belastet ist und eine tiefsitzende emotionale Dimension hat, neigen Ahnenforscher beim Auftreten solcher Ahnen dazu, diese nicht weiter zu erforschen oder aufzuführen.
Die Erforschung von Nichtsesshaften ist wegen den oft wechselnden Aufenthaltsorten, auch über Kantons- und Landesgrenzen hinweg, anspruchsvoll und aufwendig, d.h. Kirchenbücher und andere Quellen ganzer Regionen müssen umfassend durchgearbeitet werden.
Mit den üblichen Arbeitstechniken, grosser Ausdauer und etwas Glück kann auch die Herkunft von Nichtsesshaften meistens geklärt werden. Bei Jenischen zeigen zuverlässige Arbeiten, dass deren Wurzeln oft auf sesshafte Familien zurückgehen.
Wie in der übrigen wissenschaftlichen Geschichtsforschung auch, können dabei liebgewordene Mythen wegfallen und neue spannende Erkenntnisse dazukommen.
Obwohl nicht die Grundidee dieses Forums, können sich registrierte Mitglieder auch über private Nachrichten auszutauschen.

Fremd- und Eigenbenennungen von Nichtsesshaften
Nichtsesshafte wurden je nach Region und Zeit von den Amtsstellen, Kirchenbuchführern und vom Volksmund unterschiedlich benannt.
In den deutschschweizerischen Kirchenbüchern finden sich peregrini und vagi sowie mendici und pauperes.
Diese Benennungen weisen auf Fahrende, Fremde, Heimatlose, Herumziehende, Landfahrer, Reisende, Vagabunden oder Vaganten bzw. auf Arme oder Bettler hin.
Es kann sich um bürgerliche Reisende, Händler oder Handwerker, Wirtschafts- Religions- Kriegs- oder Justizflüchtlinge, ausgemusterte oder desertiert Militärangehörige, Gaukler, Schausteller, Musikanten, Jenische mit verschiedenen regionalen Fremdbenennungen, Roma oder Sinti mit der Fremdbenennung Zigeuner oder Mitglieder anderer Gruppen gehandelt haben.
Die Entstehung, Veränderung und Aufgabe von Fremd- und Eigenbenennungen von Personengruppen ist ein Dauerprozess. Der Grund dafür ist das Bedürfnis oder die Notwendigkeit zur Identifikation und Abgrenzung. Fremdbenennungen treten mehrheitlich früher auf und werden fallweise auch als Eigenbenennungen angenommen. Für die gleiche Gruppe sind manchmal zeitgleich im gleichen Regional- und Sprachraum verschiedene Benennungen im Gebrauch. Gruppen müssen auch nicht zwingend ethnisch oder sprachlich einheitliche zusammengesetzt sein. Je nach Zeitgeist kann sich die Benennung für die gleiche Gruppe verändern, oder die Gruppenzusammensetzung ändert sich bei gleichbleibender Benennung. Bei solchen, teilweise weit zurückliegenden, Prozessen ist es mangels Belegen oft schwierig sie zu verstehen, die Fremd- und Eigenbenennung auseinanderhalten und die benannten Gruppen festzumachen.
Die Fremdbenennungen für Jenische beziehen sich mehrheitlich auf ihre Erwerbstätigkeit, Verhaltensweise oder geografische Herkunft.
In der Deutschschweiz kennt man vor allem Bohemus (Herkunft von Böhmen), Chacheler / Chachelimacher (Tongeschirrmacher und Tongeschirrreparateur), Chachelifuerme (fahrender Tongeschirrhändler), Chorbeni (Korbmacher), Chundi (Kunde = aus dem rotwelschen Herumziehenden), Fecker (fechten = betteln), Gauner (Jauner = aus dem rotwelschen Joner = Falschspieler), Kessler (Kesselmacher und Kesselreparateur), Landstreicher, Spengler (Klempner, Kupferschmied), Vazer (Herkunft von Vaz/Obervaz) und Zigeuner.
Auch Nichtsesshafte führten wie Sesshafte neben dem Familiennamen oft einen Beinamen. Beinamen von Nichtsesshaften finden sich vor allem in Verhörprotokollen, Steckbriefen und Fahndungslisten.

Herkunft der Nichtsesshaften
Während die Herkunft der Sinti und Roma aus Indien als gesichert gilt, gehen die Meinungen über die Herkunft der Jenischen stark auseinander.
Vor allem die Meinung, die Jenischen seinen aufgrund ihrer Sprache dem Jenisch eine eigene Ethnie, ist nicht erwiesen und auch eher unwahrscheinlich.

Bochtella
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Bochtella
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Re: Nichtsesshafte

Beitrag von Bochtella » Sa 14. Jan 2012, 11:41

Erstaufkommen der Fremdbenennung Zigeuner
• 1417 Thateren genannt Zeguner. Magdeburger Schöppenchronik.
• 1427 Zigeuner. Augsburger Chronik.
• 1430 Ziginer. Konstanzer Chronik.
Wilhelm Solms, Zigeunerbilder. Ein dunkles Kapitel der deutschen Literaturgeschichte. Von der früher Neuzeit bis zur Romantik, Würzburg 2008.
• 1418 Zeygingern. Straßburger Stadtchronik. Roma / Geschichte. Ankunft in Europa.
• 1418 und 1426 Zigeuner. Stadtkammerrechnung München. Johann Andreas Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 1094, Neuauflage München 2008.
• 18.4.1423 Ciganorum, Ciganos. Andreas Presbyter von Regensburg, Diarium sexennale, 1422-1427, Ms. Bayer. Staatsbibl. München, Bl.245, in Georg Leidinger, Quellen und Erörterungen zur Bayerischen und Deutschen Geschichte. Neue Folge, Erster Band. Andreas von Regensburg, Sämtliche Werke, München 1903, S. 319.
• 1424 Zigäwner, Cinganorum vulgariter Cigäwner. Andreas Presbyter von Regensburg, Diarium sexennale, 1422-1427, Ms. Bayer. Staatsbibl. München, Bl.245, in Georg Leidinger, Quellen und Erörterungen zur Bayerischen und Deutschen Geschichte. Neue Folge, Erster Band. Andreas von Regensburg, Sämtliche Werke, München 1903, S. 319.
• März 1471 Zeginer. Tagsatzungsbeschluss in Luzern. Staatlich Beschlüsse 1471-1574. Quellentexte zur schweizerischen Vertreibungspolitik gegenüber "Zigeunern", "Heiden" und anderen Fremden.
• 7.8.1495. Zigeuner. Regesta Imperii, Regest Nr. 2255.

Erstaufkommen der Sprachbenennung Jenisch
• 1714. Wiener Kellnersprache, in Friedrich Kluge, Rotwelsch. Quellen und Wortschatz der Gaunersprache und der verwandten Geheimsprachen. Rotwelsches Quellenbuch, Strassburg 1901, S. 175 und 176.
• 1721. Räuberliste, Dillingen März 1721, in Friedrich Kluge, Rotwelsch. Quellen und Wortschatz der Gaunersprache und der verwandten Geheimsprachen. Rotwelsches Quellenbuch, Strassburg 1901, S. 181 und 182.
Räuberliste, Dillingen März 1721, im Staatsarchiv Ludwigsburg, B 412, Bü 8, in Andreas Blauert /Eva Wiebel, Gauner- und Diebslisten, Registrieren, Identifizieren und Fahnden im 18. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2001, S. 118.
• 1787. Georg Jacob Schäffer, Zigeunerliste, Stuttgart 1787, in Friedrich Kluge, Rotwelsch. Quellen und Wortschatz der Gaunersprache und der verwandten Geheimsprachen. Rotwelsches Quellenbuch, Strassburg 1901, S. 251.
• 1791. Wahrhafte Entdeckung der Jauner- oder Jenischen=Sprache von dem ehemals berüchtigten Jauner Konstanzer=Hanss. Auf Begehren von Jhme selbst aufgesezt und zum Druk befördert. Sulz am Neccar 1791, in Friedrich Kluge, Rotwelsch. Quellen und Wortschatz der Gaunersprache und der verwandten Geheimsprachen. Rotwelsches Quellenbuch, Strassburg 1901, S. 252.

Erstaufkommen der Eigenbenennung Jenische
· 1793. Georg Jakob Schäffer und Johann Ulrich Schöll, Abriß des Jauner und Bettelwesens in Schwaben nach Akten und andern sichern Quellen, von dem Verfasser des Konstanzer Hanß. Stuttgart 1793.
• 1975. Gründung der Radgenossenschaft der Landstrasse. Dachorganisation der Jenischen in der Schweiz. Seit 1985 vom Bund anerkannt.

Erstaufkommen der Eigenbenennung Sinti
• 1787 als Sende. Georg Jacob Schäffer, Zigeunerliste, Stuttgart 1787, in Friedrich Kluge, Rotwelsch. Quellen und Wortschatz der Gaunersprache und der verwandten Geheimsprachen. Rotwelsches Quellenbuch, Strassburg 1901, S. 251.
• 1793. Anonymus, Ueber die Zigeuner; besonders im Königreich Preussen, in Berlinische Monatsschrift, Bd. 21, Berlin Januar bis Junius 1793, S. 365.
Hinter dem Anonymus steckt Christian Jakob Kraus, in A.F.Pott, Die Zigeuner und Europa und Asien. Ethnographisch-linguistische Untersuchung, vornehmlich ihrer Herkunft und Sprache, … Erster Theil … , Halle 1844, S. 17 f.
• 1982. Gründung des Zentralrat Deutscher Sinti und Roma.

Erstaufkommen der Eigenbenennung Roma.
• 1793. Anonymus, Ueber die Zigeuner; besonders im Königreich Preussen, in Berlinische Monatsschrift, Bd. 21, Berlin Januar bis Junius 1793, S. 364.
• Nach 1970. Gérald Kurth, Identitäten zwischen Ethnos und Kosmos, Wiesbaden 2008, S. 1.
• 1982. Gründung des Zentralrat Deutscher Sinti und Roma.

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Grund: Änderungen des Beitrages im Auftrag des Autors



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Re: Nichtsesshafte

Beitrag von Bochtella » Di 24. Jan 2012, 10:53

Herkunft der Nichtsesshaften
Beiträge zur Herkunft der Nichtsesshaften:
Jenischer Bund in Deutschland und Europa. Herkunft der Jenischen.
Zigo-World.Jenische.
Kochemer Loschen - Jenischer Bund Luxemburg, Jenische Kultur.
Jenische in Tirol.

Die Sprachen Rotwelsch und Jenisch
Jenisch enthält Elemente der mittelalterlichen «Vagantensprache» Rotwelsch, der jüdisch-deutschen Mischsprache Jiddisch und des Romanes.
• Rotwelsch. Historisches Lexikon der Schweiz.
• Rotwelsch oder Jenisch? "Fäberer" [Venanz Nobel], Homepage vom Verein "schäft qwant".
• Rothwelsch = Jenisch ? Kochemer Loschen - Jenischer Bund Luxemburg, Jenische Historie.
• Jenisch. Joseph Tockert, Das Weimerskircher Jenisch auch Lakersprache oder Lakerschmus genannt. Eine Händlergeheimsprache, 1989.
Friedrich Kluge, Rotwelsch. Quellen und Wortschatz der Gaunersprache und der verwandten Geheimsprachen. Rotwelsches Quellenbuch, Strassburg 1901.
• Roth Hansjörg, Jenisches Wörterbuch. Aus dem Sprachschatz Jenischer in der Schweiz, Frauenfeld 2001.

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Zuletzt geändert von Nico am Di 2. Feb 2016, 17:32, insgesamt 3-mal geändert.



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Re: Nichtsesshafte

Beitrag von Bochtella » Mi 29. Feb 2012, 10:50

Quellen / Literatur:
• Schweizer Einwanderer in den östlichen Teil des mittleren Schwarzwaldes, in Die Familie-Dilger-Seiten.
Darunter auch Nichtsesshafte mit den Benennungen vaga, vagus, vagabundi, vagabundus.

Beiträge:
Peter Rickenbacher, Fecker und Jenische im Schwyzerland – ein ausgestorbenes Völkchen. Mit Abbildungen.
Norbert Pfaffen, Familienforschung bei nicht Sesshaften. Mit Abbildung.

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Re: Nichtsesshafte

Beitrag von Bochtella » Di 2. Feb 2016, 21:40

Grüezi Lesende,

Erstaufkommen der Fremdbenennung Jenische
• 13. und 16. Jh. Yeannische Freyleute. Dokumente im Stadtarchiv Freiburg, in Kochemer Loschen - Jenischer Bund Luxemburg, Jenische Historie.
Im Stadtarchiv Freiburg im Breisgau konnten auf Anfrage keine Dokumente betreffend "Yeannische Freyleute" gefunden werden.

Die Sprachen Rotwelsch und Jenisch
Georg Jakob Schäffer und Johann Ulrich Schöll, Abriß des Jauner und Bettelwesens in Schwaben nach Akten und andern sichern Quellen, von dem Verfasser des Konstanzer Hanß. Stuttgart 1793.
• Friedrich Christian Benedict Avé-Lallemant, Das Deutsche Gaunerthum in seiner socialpolitischen, literarischen und linguistischen Ausbildung zu seinem heutigen Bestande, 4 Theile, Leipzig 1858-1862.
1858 Erster Theil.
1858 Zweiter Theil.
1862 Dritter Theil.
1862 Vierter Theil.
• Josef Maria Wagner, Rotwelsche Studien, in Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, Jg. 18, Bd. 33, 1863, S. 197—246.
• Siegmund A.Wolf, Wörterbuch des Rotwelschen, Deutsche Gaunersprache, Mannheim 1956.
• Siegmund A. Wolf, Studien zum Liber vagatorum, in Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache, Jg. 80, 1958, S. 157-167.
• Peter Assion, Matthias Hütlin und sein Gaunerbüchlein, der «Liber Vagatorum», in Alemannisches Jahrbuch 1971/72.
• Hermann Arnold, Randgruppen des Zigeunervolkes, Neustadt/Weinstrasse 1975.
Robert Schläpfer, Jenisch : zur Sondersprache des Fahrenden Volkes in der deutschen Schweiz, in Schweizerisches Archiv für Volkskunde = Archives suisses des traditions populaires, Band 77, Heft 1-2, 1981.
Jenisch ist der Nachfahre der alten deutschen Gaunersprache, des Rotwelschen. Das schweizerische Jenisch zeigt noch einen beachtlichen Anteil alten rotwelschen Sprachgutes.
Andrew Rocco Merlino D’Arcangelis, Die Verfolgung der sozio-linguistischen Gruppe, der Jenischen (auch als die deutschen Landfahrer bekannt) im NS-Staat 1934 – 1944, Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der HWP - Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik, 2004.
• Rotwelsch bei Wikipedia.
• Jenische Sprache bei Wikipedia

Erstaufkommen der Sprachbenennung Rotwelsch

• Zwischen 1430-44 Rottwelsch. Die Basler Betrügnisse der Gyler, in Friedrich Kluge, Rotwelsch. Quellen und Wortschatz der Gaunersprache und der verwandten Geheimsprachen. Rotwelsches Quellenbuch, Strassburg 1901, S. 15.
• 1475 Rottwelsch. Chronik des Matthias von Kemnat zum Jahre 1475, in Friedrich Kluge, Rotwelsch. Quellen und Wortschatz der Gaunersprache und der verwandten Geheimsprachen. Rotwelsches Quellenbuch, Strassburg 1901, S. 21.
• Um 1490 Rotwelschtz. Vokabular, Gerold Edlibach, in Friedrich Kluge, Rotwelsch. Quellen und Wortschatz der Gaunersprache und der verwandten Geheimsprachen. Rotwelsches Quellenbuch, Strassburg 1901, S. 19-20.
• 1510 Rotwelsch. Anonymus, Liber Vagatorum, in Friedrich Kluge, Rotwelsch. Quellen und Wortschatz der Gaunersprache und der verwandten Geheimsprachen. Rotwelsches Quellenbuch, Strassburg 1901, S. 35 ff.
Die erste umfassende Quelle des Rotwelschen. In der ersten Auflage wird die Sprache nicht explizit benannt. Das Vokabular umfasst 219 Wörter. Von 1510 bis 1755 gibt es über 30 Auflagen. Der anonyme Verfasser war Alatthias Hütlin, Spitalmeister am Heiliggeist-Spital in Pforzheim, in Peter Assion, Alatthias Hütlin und sein Gaunerbüchlein, der «Liber Vagatorum», in Alemannisches Jahrbuch 1971/72.
Die niederdeutsche Übersetzung der Liber Vagatorum benennt die Sprache Rotwelsch.

Erstaufkommen der Sprachbenennung Jenisch
• 1755 Jenaisch. Actenmässige Nachricht von 6 zahlreichen Diebes-Banden, Hildburghausen 1755, in Friedrich Kluge, Rotwelsch. Quellen und Wortschatz der Gaunersprache und der verwandten Geheimsprachen. Rotwelsches Quellenbuch, Strassburg 1901, S. 235.
• 1792 Jaunisch oder Jänisch. Criminal Proccduren, Staatsarchiv Bern, B. IX. 817/1792, in Robert Schläpfer, Jenisch : zur Sondersprache des Fahrenden Volkes in der deutschen Schweiz, in Schweizerisches Archiv für Volkskunde = Archives suisses des traditions populaires, Band 77, Heft 1-2, 1981.
• 1793
Die Jauner in Schwaben, welche in der jen. Spr. Tschor, Kochumer und Cannover heissen ...
Die Bettler, die zu den Landstreichern gehören, heissen in der jen. Spr. Talcher, Schnurrer, auch Talfer.
Beede - sowohl Diebe als Bettler dieser Art - heissen in ihrer Gesellschaftssprache Jenischer, d. i. Leute, die nirgends keine Niederlassung haben; so wie sie in der Canzley- und Volkssprache den Namen von Vaganten und Strolchen führen.
Georg Jakob Schäffer und Johann Ulrich Schöll, Abriß des Jauner und Bettelwesens in Schwaben nach Akten und andern sichern Quellen, von dem Verfasser des Konstanzer Hanß. Stuttgart 1793.

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Re: Nichtsesshafte

Beitrag von Bochtella » Di 9. Feb 2016, 11:50

Grüezi Lesende,

Erstaufkommen des Wortes Rotwelsch
• Um 1250 rotwalsch. Geheime, arglistige Worte. Passional, in Friedrich Kluge, Rotwelsch. Quellen und Wortschatz der Gaunersprache und der verwandten Geheimsprachen. Rotwelsches Quellenbuch, Strassburg 1901, S. 1.
• 25.5.1363 Rotwelsch. Familienname in Basel. Staatsarchiv Basel-Stadt, Spital 148.

Erstaufkommen der Sprachbenennung Rotwelsch
• 1411 Rotwelsch. Vintler, Blume der Tugend, in Friedrich Kluge, Rotwelsch. Quellen und Wortschatz der Gaunersprache und der verwandten Geheimsprachen. Rotwelsches Quellenbuch, Strassburg 1901, S. 4.

Etymologie von Rotwelsch
• Rot geht zurück auf die Farbbezeichnung rot, die mittelhochdeutsch auch die übertragene Bedeutung "falsch, arglistig, betrügerisch, gaunerisch" einschliesst, in Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch, Stuttgart 1961.
Rot ist dann im Rotwelschen der "Bettler"; welsch (althochdeutsch wal[a]hisc "romanisch") ist die "fremde, unverständliche Sprache", in Siegmund A.Wolf, Wörterbuch des Rotwelschen, Deutsche Gaunersprache, Mannheim 1956.
Robert Schläpfer, Jenisch : zur Sondersprache des Fahrenden Volkes in der deutschen Schweiz, in Schweizerisches Archiv für Volkskunde = Archives suisses des traditions populaires, Band 77, Heft 1-2, 1981, S. 14.

Etymologie von Jenisch
• Jenisch geht auf die zigeunersprachliche Wurzel dsân = "wissen" zurück. Jenisch wäre damit die "wissende", die "kluge" Sprache, die Sprache derer, die klug sind, wissend (eingeweiht, dazugehörend), im Gegensatz zu allen anderen, nicht zu ihnen gehörenden (nicht eingeweihten) Dummen.
Siegmund A.Wolf, Wörterbuch des Rotwelschen, Deutsche Gaunersprache, Mannheim 1956. S. 144.
Diese Ableitung von zigeunersprachlich dsan wurde von den gängigen deutschen Wörterbüchern übernommen.
Robert Schläpfer, Jenisch : zur Sondersprache des Fahrenden Volkes in der deutschen Schweiz, in Schweizerisches Archiv für Volkskunde = Archives suisses des traditions populaires, Band 77, Heft 1-2, 1981, S. 18.
• Andere Deutungen leiten jenisch von Gauner her (älter: Jauner, Joner; mit der ursprünglichen Bedeutung "Betrüger im Spiel"), das seinerseits auf jiddisch jowen "Grieche" (eigentlich "Jonier") zurückgeht (die Griechen galten den Juden lange Zeit als berüchtigte Falschspieler). Hermann Arnold, Randgruppen des Zigeunervolkes, Neustadt/Weinstrasse 1975, sagt dazu, dass diese etymologische Erklärung "auf das Bedenken des Germanisten stösst, der einen entsprechenden Lautwandel für unmöglich hält", meint aber immerhin, sie sollte "doch nicht unbeachtet bleiben, da in der niederländischen Gaunersprache das hiervon (sc. von Joner "Spieler") abgeleitete Verbum 'jennen' (falsch spielen, lügen) gebräuchlich ist". Zu den Bedenken des Germanisten in Bezug auf den Lautwandel Joner > jenisch ist immerhin zu sagen, dass die von Wolf behauptete lautliche Entwicklung von dsan zu jenisch durchaus ähnliche Bedenken wecken kann. Arnold selber hielt lange an der Herleitung von jenisch aus zigeunersprachlich djeno "schlechter Mensch" fest, da die Zigeuner die Jenischen meist sehr deutlich ablehnten. Er hat aber damit neuerdings den Romani-Spezialisten B. Gilliath-Smith auf den Plan gerufen, der meint, "gegen diese Ableitung zeuge u. a. der Umstand, dass 'djeno' nur in begrenztem Raum (Balkan!) gebräuchlich sei. Die den deutschen Zigeunern geläufige Form 'dseno' könne auf dem natürlichen Wege der Romanes-Entwicklung kaum zu 'jenisch' werden". Mit Arnold ist denn festzuhalten, dass die Frage der Etymologie von Jenisch durchaus noch nicht abschliessend geklärt ist - entgegen dem Anschein, den die Wörterbücher erwecken, die Wolfs Deutung kommentarlos und ohne Fragezeichen übernommen haben.
Robert Schläpfer, Jenisch : zur Sondersprache des Fahrenden Volkes in der deutschen Schweiz, in Schweizerisches Archiv für Volkskunde = Archives suisses des traditions populaires, Band 77, Heft 1-2, 1981, S. 18 und 19.
• jenisch (Rotwelsch) klug, gewitzt. Wahrscheinlich gebildet zu einem Wort des Romani mit der Bedeutung "wissen", also eigentlich = wissend, klug, Herkunft ungeklärt. Duden online.
• Yanneschla, jenischer Ausdruck für die Reise oder die Handelsschaft, was neben der Annahme, Jenisch würde eingeweiht oder klug bedeuten, eine Erklärung für die Eigenbenennung als "Reisende" sein könnte.
Kochemer Loschen - Jenischer Bund Luxemburg, Jenische Historie.

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Re: Nichtsesshafte

Beitrag von Bochtella » Sa 13. Feb 2016, 21:02

Grüezi Lesende,

Die Sprachen Rotwelsch und Jenisch
• Hansjörg Roth, Das Jenisch-Glossar aus dem ≪Großen Gaunerprozess≫ 1824–1826 (Luzern/Zürich), in Ch. Efing, C. Leschber, Geheimsprachen in Mittel- und Südosteuropa, Frankfurt am Main 2009, S. 59–88.

Etymologie von Rotwelsch
• Die Herkunft des Wortes Rotwelsch, das schon um 1250 in der Form rotwalsch ("betrügerische Rede") bezeugt ist, ist nicht ganz sicher. Das Wort welsch, mit der eigentlichen mittelhochdeutschen Bedeutung "romanisch" (französisch und italienisch), hat auch die übertragenen Bedeutungen "fremdartig", "unverständliche Sprache", wie in der Zusammensetzung "Kauderwelsch". Der Bestandteil rot wird dagegen mit dem rotwelschen Wort rot für "Bettler" erklärt, das seinerseits mit rotte ("Bande") oder mit mittelniederländisch rot ("faul, schmutzig") in Verbindung gebracht wird. Wikipedia.
Quelle:
Roth Hansjörg, Jenisches Wörterbuch, Aus dem Sprachschatz Jenischer in der Schweiz, Frauenfeld 2001.

Etymologie von Jenisch
• Linguisten leiten übereinstimmend, wenngleich nicht ganz ohne Vorbehalt, die Gruppenbezeichnung jenisch und den Sprachnamen Jenisch aus dem Romanes von džan (Siegmund A. Wolf) bzw. džin (Yaron Matras) für "wissen" ab. Im Bedeutungsgehalt korrespondiert Jenisch mit dem benachbarten, aus dem Jiddischen entlehnten kochem ("gescheit"), das ohne klare Abgrenzung ebenfalls als Sprachname und Bezeichnung für die Sprechergruppen (Kochemer) verwendet wird. Im Gegensatz zu Rotwelsch sind Jenisch und Kochem Selbstbezeichnungen.
Wikipedia.
Quellen:
Siegmund A. Wolf, Wörterbuch des Rotwelschen, Deutsche Gaunersprache, Hamburg 1985, 2. Aufl., S. 144 f.
Yaron Matras, The Romani element in German secret languages, Jenisch and Rotwelsch, in Yaron Matras, The Romani element in non-standard speech, Wiesbaden 1998, S. 196.

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Re: Nichtsesshafte

Beitrag von Bochtella » Di 6. Feb 2018, 20:22

Grüezi Lesende,

Quellen:

Akten und Fotos von Heimatlosen im Schweizerischen Bundesarchiv in Bern.

Dazu im Thread Heimatlose Schweiz

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Re: Nichtsesshafte

Beitrag von Bochtella » Mo 3. Jun 2019, 19:26

Grüezi Lesende,

Quellen / Literatur:
Liber vagatorum auf einer Webseite von Wikipedia.
Der Liber vagatorum ist eine Zusammenschau der Bettlertypen und ihrer "Arbeitstechniken" in der frühen Neuzeit und besteht aus drei Teilen. Im ersten werden 28 unterschiedliche Bettlertypen vorgestellt, im zweiten Anmerkungen zum ersten Teil gemacht und zwei reale Fälle von Falschbettlerei genannt. Der dritte Teil besteht aus einem "Vocabularius", einem Wörterbuch des Rotwelschen. Das Vokabular stellt eine Mischung von Wörtern verschiedener geheimer Gauner und Vagabundensprachen dar. Das "Rotwelsch" ist eine historische Konstruktion, das von den Gegnern der Sprecher so angenommen wurde, jedoch einheitlich nie existierte.

Digitalisat einer Ausgabe von 1510.

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Re: Nichtsesshafte

Beitrag von Bochtella » Mo 17. Aug 2020, 14:04

Grüezi Lesende,

Die Sprachen Rotwelsch und Jenisch:

Christian Efing, Das Lützenhardter Jenisch : Studien zu einer deutschen Sondersprache, Wiesbaden 2005.
Geringfügige überarbeitete Version der gleichnamigen Dissertation, die dem Institut der Sprach- und Literaturwissenschaft der Technischen Universität Darmstadt im Sommer 2004 eingereicht und von diesem angenommen wurde.

Digitalisat auf einer Webseite der Pädagogische Hochschule Heidelberg.

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Re: Nichtsesshafte

Beitrag von Bochtella » Mo 11. Jan 2021, 12:23

Grüezi Lesende,

Benennung, Herkunft und Sprache der Nichtsesshaften:

Jenische und Sinti als nationale Minderheit auf einer Webseite des Bundesamtes für Kultur der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

Jenische
Jenische bilden eine eigenständige Gruppe mit eigener Sprache. Sie leben in ganz Europa, hauptsächlich in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Frankreich. In der Schweiz sind es ca. 30‘000 Jenische, die meisten davon leben sesshaft. Rund 2‘000-3‘000 pflegen eine nomadische Lebensweise. Sie sind eine anerkannte kulturelle Minderheit der Schweiz. Seit Ende des 19. Jahrhunderts und bis in die 1970er Jahre haben die Behörden, teilweise auch gewaltsam, versucht, die fahrende Lebensweise zu unterdrücken und die Jenischen zur Sesshaftigkeit gezwungen.

Sinti / Manouches
Sinti (Einzahl: Sinto, weiblich: Sintezza oder Sintiza) nennen sich die Nachkommen jener Roma, die im 15. Jahrhundert nach Zentraleuropa ausgewandert sind. Sie leben vor allem in Deutschland, Frankreich und Italien. Die im Vergleich mit den Jenischen zahlenmässig viel kleinere Gruppe der Sinti in der Schweiz hat sich mit den Jenischen vermischt. In Frankreich und in der Romandie nennt man sie auch Manouches, was - gleich wie der Begriff Sinti - ebenfalls «Menschen» bedeutet. Sinti sprechen eine Form des Romanes.

Roma
Roma (Einzahl: Rom, weiblich: Romni, plural: Romnia) bedeutet in der Sprache Romanes «Menschen». Roma ist der Oberbegriff für alle Angehörigen der verschiedenen Stämme, die Romanes sprechen oder von der Herkunft und Lebensweise her zu den Roma gehören. Ursprünglich waren die Roma in Indien und Persien beheimatet. Sie wanderten etwa ab dem 9. Jahrhundert in Hauptrichtung Europa aus. Das Romanes ist mit der indischen Ursprache Sanskrit eng verwandt. Man schätzt, dass es heute weltweit 8 bis 10 Millionen Roma gibt. International sind sie in der «Romani Union» organisiert, die 1979 von der UNO anerkannt wurde. Die meisten Roma leben sesshaft (nach Schätzungen von Roma-Organisationen ca. 80‘000 Personen in der Schweiz), ein kleiner Anteil lebt fahrend in Wohnwagen. Roma, die die Schweiz im Sommer in ihren Wohnwagen in grossen Verbänden durchqueren, stammen meist aus Frankreich, Deutschland, Italien oder Spanien.

Fahrende
Dem Ausdruck «gens du voyage» liegt ein Begriff des französischen Rechts zugrunde, das Personen bezeichnet, die sich in Frankreich ohne festen Wohnsitz aufhalten. Damit soll eine Ethnisierung vermieden werden. In der Schweiz hat der Ausdruck «gens du voyage», bzw. «Fahrende» einen anderen Sinn und bezieht sich auf die fahrende Lebensweise. In einer weiteren Sicht bezeichnet er die Schweizer Fahrenden (Jenische und Sinti) und auch die ausländischen Roma. Die Schweizer Fahrenden (Jenische und Sinti) sind als nationale Minderheit anerkannt. Der Begriff «Fahrende» war zum Zeitpunkt der Anerkennung ein neutraler Begriff, der sich vom abwertend wahrgenommenen Begriff «Zigeuner» unterschied. Inzwischen wird von den Betroffenen der Begriff «Fahrende» als zu eindimensional wahrgenommen, da er die sesshaften Mitglieder der Gruppen nicht miteinbezieht.
Im September 2016 hat der Bund erklärt, dass künftig im Sprachgebrauch des Bundes auf den Begriff «Fahrende» verzichtet werde. Auszug aus der Rede von Bundesrat Alain Berset am 15. September 2015 anlässlich der «Fekkerchilbi» in Bern: „Sie sind als nationale Minderheit anerkannt. [...] [Sie fordern], dass Sie auch so genannt werden, wie Sie sich selber nennen, nämlich Jenische und Sinti. Und eben nicht einfach „Fahrende", weil viele von Ihnen nicht fahrend leben. Ich anerkenne diese Forderung nach Selbstbezeichnung. [...].Das ist nicht Wortklauberei, mit Sprache schafft man Realität."

Sprache
Die Jenischen pflegen eine eigene Sprache, das «Jenische». Diese gesprochene Sprache hat den Charakter einer Schutzsprache und wird zumeist nur innerhalb der Gruppe verwendet und weitergegeben. Das Jenische gilt als «Soziolekt» oder als Sondersprache. Die Sprechenden verwenden dabei in der Regel die grammatische Struktur der deutschen Sprache.
Die in der Schweiz lebenden Sinti verwenden das Romanes, die traditionelle Sprache der ursprünglich aus dem Nordwesten Indiens stammenden Roma. Romanes ist eine indoarische Sprache aus der gleichen Gruppe wie das Hindi oder Sanskrit und mit Einflüssen von griechischen, germanischen, slawischen, baltischen und weiteren Sprachen.

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Re: Nichtsesshafte

Beitrag von Bochtella » Di 12. Jan 2021, 09:08

Grüezi Lesende,

Benennung und Herkunft der Jenischen:

Historisches Lexikon der Schweiz
Beim Begriff Jenische handelt es sich um eine Selbstbezeichnung der Fahrenden und deren heute grösstenteils sesshaften Nachkommen in der Schweiz, Deutschland und Österreich. Der Begriff taucht 1714 erstmals auf. Die Herkunft der Jenischen ist unklar. Einerseits betrachtet man sie als Nachfahren verarmter einheimischer Volksschichten (Heimatlose, Bettelwesen) und Randgruppen. Andererseits erklärt ein gewisser Anteil an Sinti- und Roma-Vorfahren in vielen jenischen Familien, weshalb manche Jenische für sich dieselbe aussereuropäische Herkunft wie diejenige der Roma vermuten und sich als eigenen Stamm innerhalb der Roma verstehen.

Hasso von Haldenwang, Die Jenischen : Erinnerungen an die Wildensteiner Hausierhändler, als Band 17 der Reihe Veröffentlichungen zur Ortsgeschichte und Heimatkunde in Württembergisch Franken, Crailsheim 1999.
Jenische ist sowohl eine Eigen- als auch eine Fremdbezeichnung für Angehörige eines nach landschaftlicher und sozialer Abkunft in sich heterogenen Teils der Bevölkerung in Mittel- und Westeuropa. Historisch lassen sich Jenische auf Angehörige der marginalisierten Schichten der Armutsgesellschaften der frühen Neuzeit und des 19. Jahrhunderts zurückführen. Merkmale dieser historischen Jenischen waren ihr ökonomischer, rechtlicher und sozialer Ausschluss aus der Mehrheitsbevölkerung und eine dadurch bedingte Dauermigration.

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Re: Nichtsesshafte

Beitrag von Bochtella » Do 19. Mai 2022, 17:09

Grüezi Lesende,

Benennung und Herkunft der Jenischen

Jenische auf einer Webseite von Wikipedia.
Historiker und Sozialwissenschaftler verorten die Entstehung der Jenischen oder – genauer – einer in sich nach Lebensweise, geografischer, kultureller und ökonomischer Zuordnung unterschiedlichen Bevölkerung in der frühen Neuzeit und am mehrheitsgesellschaftlichen Rand, dort dann in der vagierenden Armut. Auf diese Bevölkerungsgruppen wird einmal ausgangs des 18. Jahrhunderts, etwas häufiger dann im 19. Jahrhundert die ebenso unbestimmte Eigen- und Fremdbezeichnung "Jenische" angewendet.
Seit einigen Jahren beschreiben manche Jenische sich mit ethnischen Kategorien als Angehörige eines "Volks" oder einer "Volksgruppe". Sie lehnen es dann ab, die Entstehung einer solchen Population auf sozioökonomische Prozesse zurückzuführen (Soziogenese), und behaupten eine kollektive ethnisch-biologische "Abstammung" oder ethnisch-kulturelle lange Kontinuität (Ethnogenese). Teils wird eine solche Herleitung unbestimmt ins Dunkel vorgeschichtlicher Zeiten gelegt, teils wird sie mit konkreten Herkunftsmythen ausgestattet. Gemeinsam ist diesen Vorstellungen die Behauptung einer von Anbeginn bestehenden ethnischen Geschlossenheit und Einheitlichkeit. Entweder biologisch-genetisch oder kulturell implementiert sei den Angehörigen der Gruppe als dominantes kollektives Persönlichkeitsmerkmal eigen, "Nomaden" zu sein.
Demnach gehe das "jenische Volk" zurück auf:
• die als "nomadisch" betrachteten Helvetier. Dabei beruft man sich auf Aussagen in Caesars Werk über den Gallischen Krieg.
• die "fahrenden Ritter und Sänger des Mittelalters" vor allem am "vagierenden Kaiserhof" Karls des Großen.
• die "nomadisierenden" indischen Vorgänger der "Zigeuner". Jenische und Roma seien demnach eines ethnischen Ursprungs. Diesen Mythos machte sich die schweizerische Radgenossenschaft der Landstrasse zu eigen und verwendete sie als Begründung für ihr erfolgreiches Beitrittsersuchen zur International Roma Union.
• eine europäisch-kleinasiatische "wilde" Urbevölkerung tribalistischer "Nomaden" bzw. auf eine osteuropäisch-kleinasiatische Teilbevölkerung in einem jüdisch beherrschten mittelalterlichen "riesigen Reich der mittelalterlichen Chazaren", worauf die jiddische Komponente im Jenischen zurückgehen könne.
• die als "nomadisch" betrachteten Kelten.
• eine "nomadisch" lebende alteuropäische Bevölkerung von "Wildbeutern", die den Übergang zur Sesshaftigkeit vor Tausenden von Jahren nicht mitvollzogen habe. Diese Auffassung ist nicht nur von einigen Jenischen zu hören, sie wurde auch in der nationalsozialistischen Wissenschaft von der einflussreichen Rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle sowie von Hermann Arnold, der deren "erbbiologischen" und "rassenhygienischen" Ansatz nach 1945 fortführte, vertreten.
Als Realgeschichte werden diese Konstrukte im wissenschaftlichen Bereich weder diskutiert noch überhaupt rezipiert.

Jenische / «Fahrende» auf einer Webseite der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA).
Jenische gehören zu den ethnischen Gruppen, die ihren Ursprung in Europa haben und mit den Jahrhunderten eine eigene Kultur und Sprache herausgebildet haben. …
Während die Rom:nja ihre ethnischen und sprachlichen Wurzeln in Indien haben, ist die Herkunft der Jenischen weniger klar. Die Jenischen selbst betrachten sich als Volk mit eigener Kultur, das als Minderheit in Mitteleuropa lebt. Andere Forscher:innen sehen in den Jenischen eher eine soziologische als eine ethnische Gruppe: europäische Wanderhandwerker:innen, die vor rund 350 Jahren, nach dem Dreissigjährigen Krieg, ihre eigene nomadisierende Kultur formten. Da sie die Lebensweise von jüdischen Händler:innen teilten, nahm die Sprache der Jenischen jiddische und hebräische Wendungen auf. Ebenso flossen Begriffe aus dem Rotwelsch ein, dem Slang der nichtjüdischen Vagant:innen, und Lehnwörter aus der Rom:nja-Sprache Romanes. Rom:nja und Jenische haben keine gemeinsamen ethnischen Wurzeln. Das zeigt sich auch darin, dass Romanes keine jiddischen und hebräischen Lehnwörter aufgenommen hat. ...
Mit der Unterzeichnung des Rahmenabkommens des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten schaffte die Schweiz 1998 die Voraussetzung, um die schweizerischen "Fahrenden" als nationale Minderheit anzuerkennen. Im ersten Bericht der Schweiz über den Schutz nationaler Minderheiten heisst es: "Die Jenischen bilden die Hauptgruppe der Fahrenden schweizerischer Nationalität; es leben indes auch andere Fahrende in der Schweiz, die zumeist der Gruppe der Sinti (Manusche) angehören."

Thomas Huonker, Fahrendes Volk, verfolgt und verfemt : jenische Lebensläufe, Zürich 1987.
S. 16 bis 19: Die Frage nach der Herkunft der Jenischen.
… zu den ungeklärten Ursprüngen der Jenischen gibt es verschiedene Thesen. Sie ergänzen sich meiner Meinung nach eher als dass sie sich gänzlich ausschliessen. Im Bundesbericht «Fahrendes Volk in der Schweiz», der 1983 unter Mitwirkung jenischer Studienkommissionsmitglieder abgefasst wurde, vermutet Jean-Jacques Oehle, selber Fahrender, unter anderem keltische Ursprünge der Jenischen, was angesichts des Nomadismus der keltischen Helvetier keineswegs fernliegt. Er schreibt in seinem persönlichen Anhang zum Bericht: «Der Jenische ist grundsätzlich ein Nomade, ein Fahrender, und gehört zu jener Ethnie, die man gewöhnlich Zigeuner nennt. Er hat jedoch eine Besonderheit. Er ist schweizerischen Ursprungs, im Gegensatz zu den Gitanos und den Manischen, die dem Typus des Mittelmeers, ja sogar Westasiens entsprechen: Schwarze Augen, schwarze Haare und dunkle Hautfarbe. Die Jenischen sind im Gegensatz dazu vom nordischen Typus: Blaue Augen, helle Hautfarbe, blonde oder braune Haare. Wahrscheinlich sind sie keltischen Ursprungs.»
Ein anderes jenisches Mitglied dieser Kommission, Mariella Mehr, neigt zur Annahme, schon seit Jahrtausenden, seit der Zeit der gemeinsamen Auswanderung aus ihrer Urheimat Nordwestindien, habe es einen hellhäutigen und blauäugigen Unterstamm der Zigeuner gegeben, die sogenannten weissen Zigeuner. Sie hält aber auch die Vermutung für wahrscheinlich, die Ursprünge der Schweizer Jenischen führten in die Nähe des Stamms der Kalderas in Osteuropa. … Mariella Mehr schrieb 1975 in der dritten Nummer des «Scharotl», der Zeitschrift des Fahrenden Volkes in der Schweiz: «Jenisch, dessen sprachliche Wurzel laut einigen Zigeunerforschern im indischen Sanskrit zu suchen ist und "der Wissende", "der Weise" oder ganz einfach "Mensch" bedeutet, ist die Bezeichnung einer grossen europäischen Nomadengruppe. ( ... ) Heute stehen sich zwei Theorien über die Herkunft der Jenischen gegenüber. Die eine, die von den meisten Zigeunerforschern vertretene Hypothese nimmt an, unsere Jenischen und ihnen gleichzusetzende Gruppen seien aus sozial entwurzelten Elementen der wohnsässigen Bevölkerung entstanden. Die andere sieht in den Jenischen Abkömmlinge des Zigeunervolkes, die ihre Eigenart den Zigeunerahnen verdanken.»
Die beiden zuletzt erwähnten Theorien sind typisch für die Versuche der Nullifizierung des jenischen Volks durch verschiedene Wissenschaftler im Umkreis des Nationalsozialismus. Diese vernichtenden Erklärungsversuche der Herkunft der Jenischen stimmen darin überein, ihnen den Status einer eigenständigen Ethnie, eines Volkes, abzusprechen. Sie dienten den verschiedenen staatlichen Strategien zur Ausrottung oder Zwangsassimilierung der Fahrenden in der Zeit des Faschismus.
Die Statuten der Radgenossenschaft der Landstrasse, Interessengemeinschaft des Fahrenden Volkes in der Schweiz, definieren das Fahrende Volk wie folgt: «Zum Fahrenden Volk gehörende sind solche, die nachweisen können, dass wenigstens eines ihrer Grosseltern von Fahrenden abstammt. Sowie solche, die mit diesen verschwägert sind.» Die Jenischen sind in diesen Statuten als Zigeunerstamm definiert. «Mitglieder können Jenische, aber auch Zigeuner jedes anderen Stammes werden.» …
Es gibt Roma, welche die Jenischen nicht als Zigeunerstamm anerkennen. Sie verweisen neben der Hautfarbe und den teilweise abweichenden Lebensgewohnheiten vor allem auf sprachliche Unterschiede. Die Sprache der dunkelhäutigen Roma, das Romanes, das in verschiedenen Dialekten sowohl von den Kalé Spaniens, den Manouches in Frankreich, den Sinti und Roma in Deutschland, den Kalderas und Lovari in Süd- und Osteuropa und weiteren Roma-Stämmen in der ganzen Welt gesprochen wird, ist nahe verwandt mit dem Sanskrit. Diese gemeinsame Sprache weist deutlich auf den sprachlich und historisch verbürgten, von Indien auch politisch anerkannten Ursprung der Roma aus Nordwestindien hin. Das Jenische hingegen enthält in seinem - übrigens wechselnden - Wortbestand wohl viele Romanes-Worte, aber auch Lehnworte aus zahlreichen anderen Sprachen wie dem Hebräischen, dem Jiddischen, dem Deutschen, dem Rotwelsch oder der Kochemer Sprache. Zudem wird es im deutschen Sprachraum auf der Basis einer gern spielerisch abgewandelten deutschen Grammatik gesprochen.
Wahrscheinlich sind die Schweizer Fahrenden von heute teilweise auch Nachfahren derjenigen Fahrenden, die es bereits längst vor der Ankunft der dunkel häutigen Roma in der Schweiz gegeben hat. …
Digitalisat auf einer Webseite von thata.ch

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Re: Nichtsesshafte

Beitrag von Bochtella » Fr 20. Mai 2022, 20:55

Grüezi Lesende,

Die Sprachen Rotwelsch und Jenisch

Elisabeth C. Heinz, „Fisel mer diwere Jenisch“ : Eine sprachwissenschaftliche Analyse des Rotwelschen am Beispiel des Schillingsfürster Jenisch, Bachelorarbeit an der Hochschule für Angewandte Sprachen/Fachhochschule des SDI.

Digitalisat auf einer Webseite der Stadt Schillingsfürst.

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