Die frühen Christen von Wolfenschiessen NW

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Alexander Roth
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Die frühen Christen von Wolfenschiessen NW

Beitrag von Alexander Roth » Fr 25. Jun 2021, 16:14

Immer wieder stossen Innerschweizer Forscherinnen und Forscher auf ihrer Vorfahrensuche auf Christen aus Wolfenschiessen. Kein Wunder, waren die Christen doch die kopfreichste Familie ihrer Gemeinde (und das viertgrösste Geschlecht Nidwaldens). So sieht man bei der Firmung von 1701 unter den 81 Elternpaaren allein 41 Christen mit 85 Kindern, anders gesagt: Die Hälfte aller Firmlinge und Eltern waren geborene Christen. Dieses Forschungsergebnis ist ein Beispiel aus der 2017 erschienenen Arbeit "Die frühen Christen von Wolfenschiessen", die erstmals über die aus dem Nidwaldner Stammbuch bekannten Fakten hinausgeht.

Für Forschungen zu den Christen sind die Nidwaldner Stammbücher die bekannt grossartige Hilfe. Das Stammbuch Christen zeigt als Ältesten den um 1508 geborenen Melchior, verheiratet mit Christina Scheuber. Längst weiss man aber von einem viel älteren, schon 1433 im Weiler Altzellen bezeugten Jenni Christen (die Urkunde zu seinem Kauf von Grundstücken aus dem Besitz des Klosters Engelberg von 1433 ist in der Arbeit im Wortlaut wiedergegeben). In Anbetracht des langen Zeitabstands und der vermuteten drei fehlenden Generationen zwischen dem Jenni von 1433 und dem hundert Jahre später auftauchenden Melchior Christen ging der Autor der nahe liegenden Frage nach, ob nicht in Urkunden, Büchern und Akten noch andere, unbekannte Christen erscheinen müssten. Bisher hatte die bequeme Vorfahrensuche im Stammbuch eine vertiefte Erforschung der alten Christen offensichtlich verhindert. Nun, die Recherchen führten zu einem erstaunlichen Ergebnis: In den Archivquellen und der historischen Sekundärliteratur des Staatsarchivs Nidwalden fanden sich gegen 30 Christen-Personen, die im 15. oder am Anfang des 16. Jahrhunderts in Altzellen gelebt hatten. Sie alle fehlen im Nidwaldner Stammbuch. Was die Forschung allerdings nicht leisten konnte, war, diese verstreuten Einzelfunde genealogisch aneinander zu binden.

Die Forschungsarbeit "Die frühen Christen von Wolfenschiessen" erschien 2017, leider etwas versteckt im Buch von Alexander Roth: "Lebensgeschichte von Jakob Christen 1857–1913". Wie nicht anders zu erwarten, hatte sein in Stans lebender Grossvater Jakob Christen in elfter Generation den genannten Melchior zum Vorfahren (der vermutlich wiederum einen 1531/37 erwähnten Ratsherrn Melchior den Älteren zum Vater hatte). Die Recherchen im Staatsarchiv Nidwalden führten zum kritischen Fazit, dass der Christen-Stamm nicht von Melchior allein ausgehen kann, wie im Stammbuch suggeriert. Beispielsweise muss der jüngste Sohn Ulrich, verheiratet mit Dorothea Bünti, einen anderen Vater haben. Auch zeigt die Tafel im älteren Stammbuch von Kaspar Leuw um 1650 drei weitere Christen. Als beste Quelle zu den frühen Christen erwies sich aber der Stifter- und Guttäterrodel der Kapelle St. Joder in Altzellen. Hier sind auf viereinhalb Seiten nicht weniger als 58 Christen aufgeführt. Zwölf von ihnen müssen Anno 1482 zu den Stiftern der hoch über Altzellen gelegenen Kapelle gehört haben. Ebenfalls eine wertvolle Quelle ist das handschriftliche, unpublizierte Quellenwerk "Die Geschlechtsnamen in Nidwalden" von Kaplan Anton Odermatt von 1869. Für die Zeit von 1433 bis 1831 notierte er in Nidwalden nicht weniger als 86 Christen. Alle neu erforschten Christen-Personen sind am Ende des Kapitels zusammengefasst.

Die vertiefte Forschung nach den Christen beschäftigte sich auch mit dem Ursprung des Familiennamens. Der aufmerksame Blick ins Jahrzeitbuch von 1596 (mit älteren Einträgen) führt zur erstaunlichen Feststellung, dass die ganz alten Einträge Familiennamen zeigen, die im Nidwaldner Stammbuch fast komplett fehlen. Der meist auf Flurnamen beruhende ältere Namenbestand ging verloren. Ersetzt wurden die einstigen Namen durch jene Geschlechter, wie sie heute das Familiennamenbuch der Schweiz für Wolfenschiessen zeigt. Der gleichen Frage des frappanten Namenwechsels nachgegangen ist 1946 Albert Bruckner im benachbarten Engelberg, wo die noch 1491 und 1530 aufgezeichneten Geschlechter ebenfalls rasch verschwinden – oder eben umgewandelt wurden. Ob die Kristen oder Krÿsten aus Altzellen, wie man sie im 15./16. Jahrhundert schrieb, vor Zeiten einen anderen Namen trugen und welchen, ist eine noch offene Frage.

Auch dem Christen-Wappen ist ein Abschnitt gewidmet. Die älteste Wappenscheibe von 1603 befindet sich kurioserweise in England, in der Saint Michael’s Church in Wragby, West Yorkshire. In den 1820er-Jahren hatte der Geistliche und Antiquitätensammler Charles Winn hunderte Schweizer Glasscheiben zusammenkaufen und in die Fenster der neugotischen Kirche seines Landsitzes Nostell Priory einsetzen lassen. Die Scheibe mit dem Herzen auf blauem Grund von Joder Christen, Landschreiber zu Bellinzona, und seiner Frau Anna Ammas von 1603 befindet sich in Gesellschaft anderer Unterwaldner Prominenz: 1586 Melchior Lussi aus Stans, 1600 Wolfgang Britschgi aus Alpnach, 1600 Andreas Lussi aus Stans, 1603 Andreas Z’Rotz aus Wolfenschiessen, 1604 Bartholomäus Agner aus Büren, 1665 Daniel Kayser aus Stans.

Die 29 Seiten der Forschungsarbeit zu den frühen Christen zeigen noch viele weitere interessante Forschungsergebnisse, die über die diversen Merkwürdigkeiten des Stammbuchs hinausgehen und dem alten Nidwaldner Geschlecht ein bisher unbekanntes Gesicht geben.

Alexander Roth: Die frühen Christen von Wolfenschiessen. In: Lebensgeschichte von Jakob Christen 1857–1913. 198 Seiten, Illustrationen und Tafeln, Zürich 2017, erschienen im Eigenverlag des Verfassers (Winterthurerstrasse 161, 8057 Zürich). Das Werk liegt in diversen Archiven und Bibliotheken.



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